Von Viktor Hermann
Die
publikumswirksamen Auftritte des Dalai Lama verdecken die Tatsache, dass sein
Wirken den Tibetern gar nichts bringt.
Der Dalai Lama ist zu Besuch und
halb Europa gerät aus dem Häuschen. Mit Hingabe lauschen die Menschen seinen
Worten, auch wenn er seine Zuhörer lediglich mit Plattitüden überschüttet.
Selbst Leute, die sich von anderen religiösen Autoritäten längst abgewandt
haben, titulieren ihn ehrfürchtig als "Seine Heiligkeit". Der
freundlich lächelnde Brillenträger im gelben Tuch gibt vielen Menschen das
Gefühl, sie selbst hätten es in der Hand zu entscheiden, ob es ihnen gut oder
schlecht geht. Jedem, der selbst friedlich, freundlich und gütig auftrete,
werde die Welt mit Frieden, Freundlichkeit und Güte begegnen.
Ja, man kann sogar als gewaltfreies
Volk die Großmacht China herausfordern und ungeschoren davonkommen, bleibt man
nur lang genug bei seinem hartnäckigen Lächeln. Nur wenige scheinen zu sehen,
dass das die Tibeter in Jahrzehnten keinen Schritt weitergebracht hat. Erfolg
hat der Dalai Lama ausschließlich dort, wo es nicht zählt: im Westen.
Eigenartig ist die Auswahl des
Führers der tibetischen Buddhisten. Da entscheidet ein exklusiver Zirkel alter
Männer ohne jede demokratische Legitimation über die Auswahl des nächsten Chefs
der Religionsgemeinschaft aufgrund von Sternenkonstellationen und geheimnisvoll
magischen Hinweisen des Himmels, die nur sie lesen können. Der Vorgang
unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was im Konklave im Vatikan
stattfindet: Ein exklusiver Zirkel alter Männer entscheidet sich für einen
neuen Anführer. Aber in Rom wählt man einen theologisch gebildeten Mann, nicht
ein Bauernkind im Säuglingsalter. Das Studium des Staates Tibet vor der Flucht
des Dalai Lama zeigt ein Feudalsystem, in dem eine kleine Oberschicht über ein
Volk von Leibeigenen und Sklaven herrschte.
Die Dauerpräsenz des Dalai Lama in
den Medien des Westens ist China ein Dorn im Auge. Deshalb reagiert Peking
heftig, wenn der Dalai Lama irgendwo von einem Staatsoberhaupt empfangen wird.
So mancher Politiker trifft den Dalai Lama nur noch, um zu demonstrieren, dass
er sich nicht einmal von China etwas vorschreiben lässt.
So versorgen einander beide Seiten
mit Munition, um den derzeitigen Zustand zu erhalten. Der Dalai Lama liefert
Peking den Vorwand, alle paar Wochen seine Herrschaft über Tibet zu betonen.
Und China verleiht dem Mann in der gelben Robe die Aura des friedlichen
Freiheitskämpfers, den man gernhaben muss.
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