2012-06-24

„Den Dalai Lama als gewaltlos zu bezeichnen, ist ein Witz“

Frankfurter Allgemein (http://www.faz.net/aktuell/politik/unruheprovinz-tibet-den-dalai-lama-als-gewaltlos-zu-bezeichnen-ist-ein-witz-11621953.html)

25.01.2012 ·  Wieder kommt es zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Chinesen und Tibetern. Bei Protesten sind wohl mehrere Menschen ums Leben gekommen. Der Dalai Lama spricht schon länger von „Genozid“. Nun äußert sich der zuständige Minister für Tibet.

Von MICHAEL RADUNSKI

Dalai Lama
© AFP
Gallionsfigur der Tibeter: Tendzin Gyatsho, der aktuelle Dalai Lama

Immer wieder kommt es in Tibet zu Selbstverbrennungen. Exiltibetischen Angaben zufolge waren es schon 15 Selbstverbrennungen in weniger als einem Jahr. Sie seien Ausdruck der Verzweiflung, sagt der Dalai Lama. Die Tibeter wollten dadurch auf die Unterdrückung in den Klöstern der Region aufmerksam machen.


Zhu Weiqun kann bei solchen Aussagen nur den Kopf schütteln. „Das ist doch billige Propaganda“, sagt Zhu. „Wir respektieren und schützen die Religionsfreiheit.“ Mit „wir“ meint Zhu die chinesische Regierung in Peking. Denn Zhu Weiqun ist Vizeminister der Einheitsfront im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei China und innerhalb der chinesischen Regierung zuständig für Tibet. Regelmäßig reist Zhu nach Tibet, erst vergangene Woche war er wieder dort und machte sich selbst ein Bild von der Lage.

An diesem nasskalten Tag ist Zhu jedoch nach Berlin gekommen. Mit im Gepäck hat er viele Zahlen und Statistiken, die allesamt seine Aussagen belegen sollen. Er lehnt sich zurück und zählt auf: Allein in den Jahren von 2006 bis 2010 habe die Regierung 137 Milliarden Yuan (umgerechnet knapp 17 Milliarden Euro) in Tibet investiert. Und im nächsten Fünfjahresplan von 2011 an seien gar Investitionen von 330 Milliarden Yuan geplant. „Das Bruttoinlandsprodukt, das Durchschnittseinkommen und die Lebenserwartung der Tibeter sind allesamt gestiegen.“ Wie könne der Dalai Lama da ernsthaft behaupten, die Lage in Tibet sei schlecht, die tibetische Bevölkerung würde gar aussterben. „Im Gegenteil. Die Bevölkerungszahl stieg seit der Befreiung 1951 von einer Million auf drei Millionen an.“ Den Einwand, dies seien vor allem zugezogene Han-Chinesen, lässt Zhu nicht gelten. In erster Linie handele es sich um Tibeter, aber natürlich auch um andere ethnische Gruppen wie Han oder Hui. So genau könne man das nicht trennen, schließlich lebten zehn verschiedene Ethnien in Tibet.

Der Westen hänge an den Lippen des Dalai Lama

Schon zu Beginn des Gesprächs mit dem chinesischen Vizeminister wird klar, neben allerlei Statistiken hat er vor allem eines dabei: Zeit. Immer wieder wird der chinesischen Regierung vorgeworfen, sich zu den Themen Tibet oder Dalai Lama nur widerwillig und äußerst einsilbig zu äußern. Zhu will das ändern. Es sei dringend notwendig, so Zhu, endlich einige Dinge richtig zu stellen. Der Westen hänge zu sehr an den Lippen des Dalai Lama. Dabei sei dessen Strategie doch sehr durchschaubar.

Jahrzehntelang war der Dalai Lama politischer und geistiger Führer der Tibeter. In den 60er und 70er Jahren hat er immer wieder lautstark die Unabhängigkeit Tibets gefordert, doch seit 1988 spricht er von einer „Politik des Mittelwegs“. Das Wort „Unabhängigkeit“ ist aus seinen Reden verschwunden, sein Ziel ist nunmehr eine „kulturelle Autonomie“ für Tibet. Für Zhu ist das reine Wortspielerei, der Dalai Lama verfolge nach wie vor die Unabhängigkeit.

© REUTERS
Tibeter nicht nur in Tibet: diese Nonnen leben im Kloster Ganden Jangchup Choeling nahe der Stadt Daofu in der Provinz Sichuan

Zhu beugt sich über den Tisch, hebt die rechte Hand und zählt an den Finger auf: Erstens lehne es der Dalai Lama auch heute noch ab, dass Tibet ein Teil Chinas sei. Er behauptet, Tibet sei 1951 erobert worden. „Das entspricht nicht der historischen Wahrheit.“ Zweitens spreche der Dalai Lama immer von Groß-Tibet und meine damit alle Regionen, in denen Tibeter leben, also zum Beispiel auch die Provinz Qinghai. „Doch diese Region hat noch nie zu Tibet gehört. Das heutige Tibet umfasst 1,2 Millionen Quadratkilometer. Das Gebiet von dem der Dalai Lama spricht, beträgt 2,5 Millionen Quadratkilometer. Das ist ein Viertel Chinas.“ Drittens fordere der Dalai Lama, sämtliche Soldaten aus jenem Groß-Tibet abzuziehen, um eine „internationale Friedenszone“ einzurichten. Viertens: Würde es nach den Vorstellungen des Dalai Lama gehen, sollten alle anderen in Groß-Tibet lebenden Nationalitäten vertrieben werden. 7,5 Millionen Han-Chinesen wären davon betroffen. Und fünftens wolle der Dalai Lama, dass auf besagten 2,5 Millionen Quadratkilometern neben Militär und Außenpolitik alles unter seiner Kontrolle stehe. Nirgends dürfe sich die Zentralregierung einmischen.

Der Dalai Lama hat „immer wieder Gewalt angewandt“

„Und das nennt er dann Autonomie. Würde Deutschland eine solche Autonomie über ein Viertel des Landes je akzeptieren?“, fragt Zhu und lehnt sich zurück. Er verschränkt die Arme und schaut seinem Gegenüber tief in die Augen. „Sie sehen, die Autonomie des Dalai Lama ist in Wirklichkeit die Unabhängigkeit Tibets.“ Tibet sei schon immer ein fester Bestandteil Chinas gewesen. „Und das wird auch so bleiben“, stellt der Vizeminister klar.

Im Westen ist der Dalai Lama Sympathieträger. Seine Veranstaltungen füllen ganze Stadien. Vor allem sein Eintreten für Gewaltfreiheit verleiht ihm in Zeiten globalen Terrorismus eine Art moralische Autorität. Doch für Zhu ist das eine Farce. „Seit der Dalai Lama sich mit Politik befasst, hat er immer wieder Gewalt angewandt.“ Ob in den 60er, Ende der 80er Jahre oder jüngst 2008, als es zu Plünderungen in Lhasa kam – diese Ereignisse seien allesamt mit Wissen des Dalai Lama organisiert worden. Manchmal sei sie sogar direkt von ihm angestiftet worden. „Den Dalai Lama als gewaltlose Person zu bezeichnen: Das ist ein Witz.“

Der Vizeminister verweist auf die Selbstverbrennungen. „Der Dalai Lama hat gesagt, diese Menschen seien Helden. Er bewundere ihren Mut.“ Durch solche Aussagen würden die Menschen doch ermutigt, solche Gewalt gegen sich selbst anzuwenden. „Das hat nichts mit Gewaltfreiheit zu tun. Der Dalai Lama ist nicht nur kriminell, er versucht auch noch aus dem Buddhismus, einer Religion des Friedens und der Zurückhaltung, eine gewaltsame Religion zu machen“, stellt Zhu klar. „Was wir tun, was wir bekämpfen, ist gerecht. Und unsere Bemühungen werden vom Volk unterstützt. Das ist das Allerwichtigste.“

Angesichts solch verhärteter Positionen erscheint es fast als Chance, dass der Dalai Lama vor einigen Monaten offiziell von seinen politischen Ämtern zurückgetreten ist. In diesem Moment muss Zhu schmunzeln. „Also da muss ich mich doch sehr wundern. Haben die westlichen Politiker, und auch die Medien, nicht bei jedem Empfang des Dalai Lama behauptet, es sei nichts Politisches?! Die chinesische Regierung solle sich nicht aufregen, schließlich sei der Dalai Lama lediglich das religiöse Oberhaupt der Tibeter?! Wie kann er dann jetzt von all seinen politischen Ämtern zurücktreten?“ Zhu scheint geradezu froh zu sein, dass dieser Punkt angesprochen wurde. Für ihn und die chinesische Regierung ist es wichtig, auf solche Unstimmigkeiten hinzuweisen.

Zhu beugt sich herunter und kramt in seiner Aktentasche. Es dauert nur ein paar Momente, schon hält er ein mehrseitiges weißes Dokument in seinen Händen: die aktuelle „Verfassung“ der tibetischen Exilregierung um den Dalai Lama. „Hier steht: Der Dalai Lama ist der allerhöchste Führer und Lehrer der Tibeter. Er leitet die tibetische Nationalität bei dem moralischen Benehmen, der Religion und Kultur sowie der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung an. Er darf selbst oder durch einen „demokratisch gewählten Führer“ die „Tibet-Frage“ lösen. Er hat das Recht, mit internationalen Spitzenpolitikern und Persönlichkeiten aller Kreise zusammenzutreffen und weiterhin Vertreter der Ausland-Büros und Sonderbeauftragte der Exilregierung zu benennen.“ Zhu lässt die Worte einige Momente wirken. Dann fragt er: „Kann man angesichts solcher Aufgaben von einem Rücktritt von allen politischen Ämtern sprechen? Ich finde nicht.“

Ein Land, zwei System nicht für Tibet

Offiziell hat der Dalai Lama den Harvard-Absolventen Lobsang Sangay als neuen politischen Führer der Tibeter benannt. Wenn schon nicht mit dem Dalai Lama, so könnte doch zumindest mit Lobsang Sangay eine Lösung erzielt werden. Und der scheint die Chance eines Neubeginns nutzen zu wollen. Geht es nach Sangay soll „Ein Land, zwei Systeme“ nach Hongkong und Macau nun auch für Tibet die Lösung sein. „Lobsang Sangay ist Jurist und daher kann man seinen Vorschlag nicht mit Unwissenheit erklären“, erwidert Zhu. „Er kennt die Umstände in Tibet sehr genau und wollte daher mit seinem Vorschlag nur die chinesische Regierung provozieren.“ Für die chinesische Regierung ist „Ein Land, zwei Systeme“ nicht auf Tibet übertragbar. Unter den tibetischen Bedingungen könne dieser Ansatz einfach nicht funktionieren, erklärt Zhu. „Hongkong, wie auch Macau, waren jahrelang von einer westlichen Macht besetzt. Beide waren von China getrennt. Tibet hingegen war nie von China getrennt, es war und wird immer fester Bestandteil des chinesischen Territoriums sein.“

In Hongkong und Macau hätten sich die Menschen, die Kultur und die Wirtschaft durch den fremden Einfluss sehr stark verändert. Oder die wirtschaftliche Ordnung: Während in China Sozialismus herrschte, entstand in Hongkong ein kapitalistisches System britischen Vorbilds. „Um das wieder zusammenzuführen, haben wir den Ansatz Ein Land, zwei Kulturen entwickelt. Im Falle Tibets würde das bedeuten, dass wir wieder die Leibeigenschaft einführen würden. Das kann doch ernsthaft niemand wollen. Die Tibeter und wir wollen das jedenfalls nicht.“

„Unsere Tür steht offen“

Nicht nur die Idee „Ein Land, zwei Systeme“ lehnt die chinesische Regierung ab, sondern auch den Führungsanspruch von Lobsang Sangay. „Lobsang Sangay ist Anführer einer separatistischen politischen Gruppe ohne Legitimität. Wir wollen keinen Kontakt zu ihm, geschweige mit ihm verhandeln.“

Leise öffnet sich die Tür und eine Angestellte der chinesischen Botschaft in Berlin gießt Tee nach, grüner Tee. Er dufte zart und hat eine beruhigende Wirkung. Das Gespräch mit Herrn Zhu verdeutlicht, dass die chinesische Regierung um mehr Verständnis werben will. Der Vorwurf, man würde den westlichen Medien nicht Rede und Antwort stehen, wird an diesem Tag eindeutig widerlegt.

Doch ebenso treten immer wieder die verhärteten Fronten zwischen der chinesischen Regierung und der tibetischen Exilregierung offen zu Tage. Ist unter diesen Voraussetzungen überhaupt eine Lösung möglich? „Wir haben nie die Verhandlungen abgebrochen, das war die Gruppe um den Dalai Lama.“ Der Dalai Lama müsse lediglich seinen Separatismus aufgeben, Tibet als Teil von China betrachten und aufhören, von einem Groß-Tibet zu sprechen. „Unsere Tür steht nach wie vor offen.“

No comments:

Post a Comment