2011-06-18

FOCUS: Modernes Leben Abschied von einem Mythos (Dalai Lama sowie tibetischer Buddhismus spielen eine Doppelrolle)



© FOCUS, 15.03.1999


Modernes Leben Abschied von einem Mythos

FOCUS-Redakteur Roger Thiede

Ehemalige Dalai-Lama-Sympathisanten rechnen mit dem Buddhismus ab – die neue Trendreligion sei tief in abergläubische Praktiken verstrickt

FOCUS: Herr Trimondi, Sie und Ihre Frau haben mit dem Buch „Der Schatten des Dalai Lama“ eine spektakuläre 800-Seiten-Attacke auf den Buddhismus gestartet. Dalai-Lama-Freunde warfen Ihnen prompt Unseriosität vor: Ihre Beschreibung der angeblichen „Sexual-Magie“ des Buddhismus sei schon deswegen verfehlt, weil Sie nicht über Sanskritkenntnisse verfügen . . .

Trimondi: Wir arbeiten nicht als Philologen, sondern als Kulturkritiker. Ich beschäftige mich schon seit langem mit asiatischen Religionen, habe früher als Verleger des Dianus-Trikont-Verlags ein Buch des 14. Dalai Lama sowie Titel über buddhistische Spiritualität herausgebracht. Ich habe diese Religion außerdem aus nächster Nähe kennenlernen können. Wenn Sie sich heute ein Bild machen wollen – etwa von den im Kalachakra-Tantra genannten Einweihungen -, können Sie auf Übersetzungen und Kommentare in westlichen Sprachen zurückgreifen. Der von uns analysierte Spätbuddhismus ist schon längst Teil der globalen Kultur geworden. Allein in den USA gibt es 1,5 Millionen Anhänger. Der buddhistische Diskurs beschäftigt seit Jahren eminent viele Menschen im Westen. Dazu wollen wir einen kritischen Beitrag leisten.

FOCUS: Manches klingt eher denunzierend. So werden Sie nicht müde, die mönchische Vajrayana-Lehre („Diamantenpfad“) als okkulten Glauben zu präsentieren, dessen Heilige Schriften (Tantras) kraß immoralistisch zu Perversionen aufrufen. Als Beleg dafür müssen uralte – historisch entsprechend komplizierte – Texte herhalten. Im Notfall stürzen Sie sich auch auf Bekenntnisse dubioser Außenseiter wie die des tibetanischen Sex-Autors Gedün Chöpel oder auf Schriften ehemaliger Anhänger wie die der Britin June Campbell.

Trimondi: In den höheren acht Geheiminitiationen der Kalachakra-Einweihung (die ersten sieben Stufen können risikolos öffentlich zelebriert werden) kommt es zur Vereinigung mit einer realen Partnerin. Diese „mudra“ soll eine junge Frau im Alter von zehn, zwölf, sechzehn oder zwanzig Jahren sein. Das ist das Hauptereignis im äußeren Ablauf des Rituals. So steht es jedenfalls im Urtext des zuletzt offenbarten Zeit-Tantra aus dem 10. Jahrhundert. Und die Autoren, die Sie Außenseiter nennen, halten wir für wichtige Quellen, die man nicht a priori vernachlässigen sollte.

FOCUS: Wollen Sie einen politisch korrekten beziehungsweise feministischen Buddhismus, der alle abergläubischen Bindungen an die Usancen des alten Tibet aufgibt?

Trimondi: Wir wollen nur, daß der tibetische Buddhismus sich seiner Verantwortung stellt und seine Geschichte entsprechend aufarbeitet – wie wir das in Europa doch auch getan haben. Das ist dieser Glaube unserer Meinung nach seinem extrem erfolgreichen Einbruch in die westliche Sphäre schuldig.

FOCUS: Dämonisieren Sie den Orden nicht? Sie schreiben, daß der Lamaismus „durch Ritualistik und Beschwörungen, durch magische Praktiken und Konzentrationsübungen Einfluß auf den Geschichtsverlauf unseres Planeten“ nehmen will. Parallel dazu deuten sie den Dalai-Lama-Kult des Abendlandes als Ergebnis okkulter Überrumpelung. Müssen wir uns vor der tibetischen Gefahr schon gruseln?

Trimondi: Bei dem geistigen und rituellen Einfluß auf den Geschichtsverlauf handelt es sich um ein Programm, das nicht an das Lebensalter der einzelnen Dalai Lamas gebunden ist. Der tibetische Buddhismus glaubt wegen der Inkarnationslehre an die Identität seiner Gottkönige. Am deutlichsten ist dieses Programm ausgedrückt im sogenannten Shambala-Mythos des Kalachakra-Tantra. Gemeint ist die buddhokratische Eroberung des Planeten durch den Chakravartin, sprich den prophezeiten Weltenherrscher eines verborgenen mythischen Reichs. Erst nach einer gewaltigen Schlacht, in der die Feinde des Buddhismus vernichtet werden, besteigt dieser im Jahr 2327 den Weltenthron. Diese Endzeiterwartung wird durch Rituale ständig magisch vorangetrieben – denken Sie an die Sand-Mandalas, die allerorten inszeniert werden.

Offiziell dienen sie dem Weltfrieden. Inoffiziell handelt es sich dabei um Signaturen einer kommenden weltweiten Buddhokratie. In der christlichen Eschatologie erscheint der Messias unberechenbar wie der Dieb in der Nacht. In der buddhistischen des Kalachakra-Tantra dagegen wird der Chakravartin bewußt durch Meditation und Ritual als ein Energiekörper produziert. Die Vision von der Shambalisierung der Welt hat übrigens den okkulten Rechtsextremismus stark beeinflußt.

FOCUS: Was hat das alles persönlich mit dem Dalai Lama zu tun?

Trimondi: Unserer Ansicht nach ist der Dalai Lama in seiner Funktion als höchster Kalachakra-Meister mitverantwortlich für dieses buddhokratische und kriegerische Ritual. Deswegen haben wir auch Probleme mit ihm als Friedensfürsten – übrigens ebenso wie mit dem alten Tibet als vorgegebenem Ökoparadies. Lhasa, wo angeblich die Yaks und die Schneeleoparden den Leuten aus der Hand fraßen, war nach allem, was wir wissen, eine extrem schmutzige Stadt, in der es so stank, daß man nur mit einem Tuch vor dem Mund durch die Viertel gehen konnte. Daß der jetzige Dalai Lama seinen Arm entblößt hält, damit Mücken sich von seinem Blut ernähren können, ist ein weiteres Klischee. Mit unseren Recherchen wollten wir solche Bilder korrigieren.

FOCUS: Aus welchem Grund?

Trimondi: Jede Religion hat ihre Fundamentalismen. Hier basieren sie auf der Idee des „Zeitrades“ (= Kalachakra-Tantra), dessen magische Praktiken den Westen nach eigenen buddhistischen Prophezeiungen erobern sollen. An diesem Teil des Buddhismus hat es nie offene Kritik gegeben. Sie ist aber notwendig, damit sich Verbrechen wie die der Endzeitsekte AUM des Dalai-Lama-Vertrauten Shoko Asahara, der sich auf den Shambala-Mythos und das Kalachakra berufen hat, nicht mehr wiederholen. Dieser Mythos läßt sich jederzeit politisch mißbrauchen. Wir fordern deshalb, daß der tantrische Buddhismus alles aus seinem Konzept streicht, was endzeitliche Fanatiker an ein blutiges Weltfinale glauben läßt – und zu entsprechenden Taten anhält. Es nützt nichts, daß sich der Dalai Lama nach außen als klassischer Mahayana-Buddhist präsentiert. Er spricht einfach zu wenig von den Tantras, zu wenig von den „Dämonen“ seiner Religion – auch nie von den Schreckenskammern der tibetischen Geschichte. Dabei ist ihm das ominöse Kalachakra-Tantra-Ritual, auf dem alles basiert, so wichtig, daß er es mindestens 25mal selbst öffentlich aufgeführt hat.

FOCUS: Spielt er Ihrer Meinung nach eine Doppelrolle?

Trimondi: Nach außen redet er dauernd vom Mitgefühlsgebot und über die „Lehre von der Leere“, wonach nichts eine inhärente Existenz habe. Beides ist für den Westen sehr attraktiv. Vor allem das Mitgefühlsgebot läßt sich perfekt mit einem engagierten Demokratismus verbinden. Diesen Strang des Buddhismus akzeptieren auch wir. Darum fühlten wir uns vom Dalai Lama ursprünglich angezogen. In den Tantras aber herrscht eine Welt, die mit den Werten eines universellen Humanismus nicht übereinstimmt.

KONTROVERSER BUDDHISMUS

Dalai-Lama-Vertreter bezeichneten das Trimondi-Buch als „böswillige Diffamierung“ des Tibeter-Glaubens.

Der Kölner Co-Autor Victor Trimondi (1940 als Herbert Röttgen geboren) ist Jurist. Ende der 60er Jahre gründete er in München den linken Trikont Verlag. In den 80er Jahren Begegnung mit dem Dalai Lama. Mit seiner Frau wohnt er in Oberbayern. Beide arbeiten an weiteren Bänden über die Weltreligionen.

Die vorliegende Studie interpretiert den Dalai-Lama-Buddhismus als Geheimlehre mittelalterlichen Zuschnitts.


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