2011-12-16

Nazinahe östliche Mystik

Hitler's Nazi regime had close connections with the Tibetan Government. There were several SS expeditions to Lhasa
(Foto and text: www.westernshugdensociety.org/dalai-lama/dalai-lama-nazi-connections/)


© http://www.trimondi.de/H-B-K/med.hi.01.htm

Von Georg Schmid (Prof. für vergleichende Religionswissenschaften an der Universität Zürich)

Dass manche Nazis - allen voran Himmler - den Nationalsozialismus zur veritablen Religion ausbauen wollten, ist bekannt. Ebenso bekannt ist das Faktum, dass sich aus mageren altgermanischen Quellen heraus allein ein zukünftiges Deutsches Großreich religiös nicht überzeugend einbinden ließ. Stand die Mystik des Ostens vielleicht nicht nur den Wurzeln aller arischen Zivilisation, sondern auch einem zukünftigen arischen Großreich geistig sogar näher als die literarisch weit schlechter dokumentierten alten Germanen? Wie immer man die Liebe mancher Nazis zu östlicher Mystik deuten wollte, sie verband sich mit einer auffallenden Nazinähe bedeutender damals aktiver Indologen und Buddhisten. Finden Nazis auf ihrem Marsch durch die Traditionen östlicher Mystik, was einer zukünftigen Nazi-Religion dienen könnte? Die Idee des kommenden Weltenherrschers und Gründer eines göttlichen Weltreichs, in hinduistischen und buddhistischen Texten als Hoffnung präsent, wird ebenso gerne aufgegriffen und auf Hitler angewandt, wie die Kriegsmoral der Bhagavadgita, die den Kämpfer zum pflichtbewussten Kampf verpflichtet, wie die Samurai-Mystik Japans, die auch der Militärfaschismus Japans seinen Zwecken gerne dienstbar machte, wie die tibetische Kalachakra-Spiritualität, die tantrischen Buddhismus mit Kriegermystik, Endzeitspekulationen und Wunderwaffensymbolik verbindet, und wie die hinduistische Kastenlehre, die den arischen Übermenschen Europas in seiner Überlegenheit über alle Untermenschen bestärkt. Nicht einmal die Mitte des frühen Buddhismus, das Konzept und die Erfahrung des Anatta, des Nicht-Ich, bleiben von den spirituellen Schatzsuchern der Nazizeit verschont.

Erst die Erfahrung des eigenen Nicht-Ichs – dies betonen die nazinahen Freunde östlicher Spiritualität - baut den heillosen Individualismus ab und ermöglicht ein neues Einswerden des Einzelnen mit dem Volk. Selbstverständlich erlebt heute der Freund buddhistischer Spiritualität diese Beutezüge spiritualitätshungriger Nazis durch die Gefilde östlicher Spiritualität als hemmungslose Ausbeutung des mystischen Ostens. Aber warum fragt sich der moderne Betrachter, haben Indienfreunde und Buddhisten sich diesen Beutezügen nicht in den Weg gestellt, sondern sich häufig noch als Reisebegleiter angeboten und angedient? Die bekanntesten Orientalisten der damaligen Zeit lassen Viktor und Viktoria Trimondi in ihrem umfangreichen Werk mit vielen Zitaten und Belegen aufmarschieren: Walter Wüst, Jakob Wilhelm Hauer (der Yoga-Experte), Sven Hedin, Ernst Schäfer, Heinrich Harrer ("7 Jahre in Tibet"), Daisetz Taitaro Suzuki ("Die große Befreiung"), Eugen Herrigel ("Zen in der Kunst des Bogenschiessens"), Karlfriedrich Graf Dürckheim, Georg Grimm, Nyanatiloka - da fehlt kaum einer in der langen Reihe prominenter Orientalisten und Buddhisten, der nicht seinen Beitrag zum unheimlichen Brückenschlag zwischen Ost und West, zwischen Naziideologie und östlicher Mystik geschlagen hätte. Gewiss – nicht jedem dieser Brückenbauer kann vorgehalten werden, er hätte die ganze Naziideologie uneingeschränkt unterstützt. Wahrscheinlich waren die von Indologen und Buddhisten anvisierten Brückenschlag eher als Versuch der Anbiederung an ein Regime gedacht, das auch Wissenschaftler und Mystiker nicht übersehen konnten. Aber neben dieser Anbiederung fehlt wenigstens in der vorliegenden Dokumentation jede Form der Distanz der erwähnten Prominenz gegenüber dem Nationalsozialismus. Wenn alle Formen der Distanzierungen damals wirklich unterblieben sind und nicht nur in der vorliegenden Dokumentation übergangen wurden, dann stellt sich in der Tat die Frage, ob östliche Spiritualität aus ihrer Mitte heraus, vielleicht in ihrer Liebe zum geistigen Meister, besonders autoritätshörig und anfällig für totalitären politischen Missbrauch sei.

Oder nahmen Indologen und Buddhisten einfach die Chance war, dem semitisch-jüdischen Christentum nun eine "genuin arische" Religiosität gegenüberzustellen? Oder verband sich eine nicht selten spürbare Arroganz der Erleuchteten gegenüber der noch unerleuchteten Welt nur zu schnell mit arischem Rassedünkel? Diese Fragen stellen sich umso dringlicher, als die Verbindung zwischen rechtsextremem Gedankengut und östlicher Mystik mit dem Ende des Dritten Reichs keineswegs abbrach. Auch für die Zeit nach Hitler liefert das Ehepaar Trimondi eine ganze Reihe von neuen Verknüpfungen rechtslastiger Mentalität mit östlicher Mystik. Chögyam Trungpa baute sich geleitet vom Shambala-Mythos, eine eigene Armee und spielte sich zum kleinen Diktator seiner Gemeinschaft auf. Der hierzulande noch weit bekanntere Lama Ole Nydahl, in einem früheren Leben ein Dharmageneral, beklagt den buddhistischen Pazifismus als Schwäche. Der Dalai Lama bietet zwar seine Kalachakra-Einweihungen als "Ritual für den Weltfrieden" an. Aber gelingt es ihm, die im Ritual enthaltene Kampfsymbolik so weit zu sublimieren, dass niemand sich in religiös-faschistischen Träumen und apokalyptischen Hoffnungen bestärkt fühlt? Kurz - die Verbindung zwischen rechtslastiger Mentalität und östlicher Mystik ist kein Problem, dass sich nach Hitler erledigt hätte. Die von den Trimondis aufgeworfenen Fragen rufen nach einer Antwort, weil sie auch Fragen unserer Zeit sind. Alles in allem ist Buch der Trimondis ist dazu angetan, allen Freunden östlicher Mystik einen heute schmerzlichen, aber im Zuge der allseits nötigen Aufarbeitung der Nazizeit notwendigen Dienst zu erweisen. Den Osten lieben kann noch jeder, der sich durch Trimondis Werk durcharbeitet. Aber für den Osten schwärmen kann genau besehen niemand mehr. Das verwehrt ihm die Fülle vorliegender Belege. Nun fragt sich nur noch, ob denn Liebe mehr wert war, als sie noch durch rosarote Träume schwebte. Wird wirkliche Liebe nicht immer auf dem Boden der Realitäten gelebt? Ein Wunsch sei dem Schreibenden zum Schluss dieser Bemerkungen zu Trimondis neuestem Buch noch erlaubt: Nun müsste jemand versuchen, die andere, nazikritische Seite im Leben und Denken der großen Indologen und Buddhisten der Nazizeit aufzuspüren und aufzudecken. Es kann doch kaum sein, dass die geistige Verwirrung fast ausnahmslos alle Freunde östlicher Mystik heimsuchte. Das wäre nicht nur ernüchternd, das wäre ein Albtraum. Ich warte auf die Publikation, die mir in aller unbestreitbaren geistigen Verwirrung damals Momente der Klarheit oder gar Phasen des Widerstandes aufdeckt.

Georg Schmid, Greifensee (www.relinfo.ch)

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