Spiegel Online, 09.06.2012
CIA-Ausbilder in Tibet
Dilemma auf dem Dach der Welt
Von Andreas Lorenz, Peking
Es ist ein fast
vergessenes Kapitel tibetischer Geschichte: In den fünfziger und sechziger
Jahren bildete der US-Geheimdienst CIA Bauern, Mönche und Nomaden zu
Widerstandskämpfern aus. Ein Dokumentarfilm erinnert nun an die
Gebirgs-Guerilla - und an das Dilemma des Dalai Lama.
Sie waren Bauern, Mönche und
Nomaden, bekamen amerikanische Namen wie Walt, Tom oder Nathan. Sie lernten
schießen, funken und Bomben bauen. Zu ihrer Ausrüstung gehörte eine Kapsel
Zyanid - falls sie den Chinesen in die Hände fallen sollten. Geschult wurden
die Tibeter zunächst in Saipan im Westpazifik, dann in Camp Hale im bergigen
US-Bundesstaat Colorado. Ihr Ausbilder: der amerikanische Geheimdienst CIA.
Die CIA nannte die
Operation "ST Circus". In den fünfziger und sechziger Jahren
trainierte sie tibetische Widerstandskämpfer, unterstützte sie mit Geld und
Waffen. Sie sprangen mit Fallschirmen über Tibet ab. Insgesamt kostete die
Aktion jedes Jahr rund 1,7 Millionen Dollar, der Dalai Lama selbst erhielt im
Exil jährlich 180.000 Dollar von den Amerikanern.
Die Dokumentarfilmerin Lisa Cathey
hat tibetische Guerrilla-Veteranen und frühere CIA-Agenten für ihr Projekt
"CIA in Tibet" interviewt. Sie erhellt damit ein fast vergessenes
Kapitel in der tibetischen Geschichte. Der Film soll in den nächsten Monaten
veröffentlicht werden.
Die "Süddeutsche Zeitung"
und das ARD-Magazin "Panorama" haben jetzt darüber berichtet. Es
falle ein "gewaltiger Schatten auf den Gottkönig", der als
"höchster Repräsentant des reinen Pazifismus" stets Gewaltlosigkeit
predige, befand die "SZ". Und das TV-Magazin "Panorama"
fragte: "Was ist wirklich dran am Image des Friedensnobelpreisträgers
Dalai Lama?"
CIA-Aktivitäten auf
dem Dach der Welt
Tatsächlich scheint die Verbindung
des friedliebenden Dalai Lama mit den Berufskillern der CIA nicht
zusammenzupassen. Neu allerdings ist diese Allianz nicht. Die CIA-Aktivitäten
auf dem Dach der Welt sind eine lange bekannte Tatsache, die in vielen
Geschichtsbüchern dokumentiert wird.
Selbst die Interviews mit den
Veteranen sind so exklusiv nicht: Sie wurden schon Anfang des vorigen Jahres
teilweise in der Hongkonger "South China Morning Post"
veröffentlicht. Die belgische Autorin Birgit van Wijer hat bereits 2007 die
Erinnerungen von 48 ehemaligen Kämpfern festgehalten. Der Dalai Lama hat aus
diesem schwierigen Abschnitt seines Landes und seinen Kontakten zur CIA keinen
Hehl gemacht.
Widerlegt die Geschichte das seit
den siebziger Jahren vom Dalai Lama immer wieder verkündete Bekenntnis zur
Gewaltlosigkeit auf dem Weg zu einem freien Tibet? Ist der Buddhist gar ein
Heuchler, wie "SZ" und "Panorama" insinuieren, eine
"Schachfigur der CIA"?
Keineswegs. Die Dokumentation lässt
den damaligen Chef der CIA-Operation John Kenneth Knaus zu Wort kommen, der von
einer Begegnung mit dem Dalai Lama berichtet. Es war, erinnert er sich,
"einer der kühlsten Empfänge, die ich jemals erlebt habe. Sehr formell,
sehr korrekt." Tatsache ist auch, dass die CIA in den fünfziger Jahren
lange Zeit vergeblich versucht hatte, zum Dalai Lama vorzudringen, um grünes
Licht für den bewaffneten Widerstand zu erhalten - vergeblich.
Kriegerische Zeiten
in Tibet
Es waren kriegerische Zeiten in den
fünfziger Jahren. Tibeter freuten sich über den Einmarsch der Chinesen, weil
sie sich ein freies und gerechtes Tibet erhofften. Doch als die Chinesen damit
begannen, Herden und Felder zu enteignen, erhoben sich zahlreiche Tibeter, vor
allem das Volk der Khampa, die Bewohner der osttibetischen Region Kham, gegen
die chinesischen Besatzer. Die chinesische Armee bombardierte Klöster. Der
Dalai Lama fühlte sich, wie er sich später erinnerte, "zwischen zwei
Vulkanen, die jeden Moment ausbrechen könnten".
Obwohl die Khampas auf ein Wort der
Unterstützung des damals jungen und unerfahrenen Dalai Lama warteten - es kam
nie, berichtet der tibetische Historiker Tsering Shakya. Er hielt den Aufstand
angesichts der Überlegenheit der chinesischen Armee für selbstmörderisch und
nicht vereinbar mit seiner Religion.
Unter seinen Beratern hingegen
herrschte Uneinigkeit. Schließlich floh das religiöse Oberhaupt der Tibeter auf
Anraten seiner Berater nach Indien.
Es waren seine zwei älteren Brüder,
die zwei Jahre zuvor Kontakt zur CIA aufgenommen hatten. Washington war damals
wohl nicht so naiv zu glauben, die Chinesen aus Tibet vertreiben zu können,
doch es hing der Doktrin an, den Vormarsch der Kommunisten allenthalben in der Welt
zu stoppen - so auch in Tibet. "Ich denke, die Grundidee war, die Chinesen
irgendwie abzulenken. Niemand wollte wegen Tibet einen Krieg anfangen",
erinnert sich der CIA-Mann Sam Halpern.
1957 erhielten die Khampas die
ersten Waffen der Amerikaner. Offenbar nicht genug: "Die CIA half uns,
doch die Waffen, die zu uns gelangten, reichten nicht aus, um gegen die
Chinesen anzukommen", sagt ein Veteran in der Dokumentation.
Kein klares Wort
des Dalai Lama gegen den CIA-Einsatz
Tausende von tibetischen CIA-Guerilleros
starteten später vom halb-autonomen Himalaja-Reich Mustang ihre Einsätze.
Unklar ist bis heute, wie viele von ihnen in Tibet ihr Leben ließen und wie
viele chinesische Soldaten starben. Fest steht: Ein klares Wort gegen den
Einsatz äußerte der Dalai Lama öffentlich nie, aber auch nie dafür. 1967 begann
die CIA, die Operation zurückzuschrauben, 1974 appellierte der Dalai Lama an
die letzten Kämpfer, die Waffen niederzulegen.
Seither plädiert er für den
sogenannten "Mittelweg": Keine Gewalt und keine Unabhängigkeit Tibets
will er, dafür mehr religiöse und kulturelle Autonomie auch außerhalb der
Grenzen der Autonomen Region Tibet. Unter jungen Exil-Tibetern ist dies
umstritten. Viele sind bereit, wie ihre Väter und Großväter zu den Waffen zu
greifen.
"Schatten auf dem
Gottkönig"? Wohl kaum. Der Dalai Lama hat die CIA-Aktion 1993 in einem
Interview mit der "New York Times" als "nicht sehr gesund"
kritisiert, weil sie nur politisch motiviert gewesen und nicht aus
"genuiner Sympathie" für das tibetische Volk geboren worden sei.
Die Aussagen der Tibeter und der
Amerikaner helfen, den Konflikt zwischen Tibetern und der Pekinger Regierung
besser zu verstehen. Sie widerlegen nicht die Tatsache, dass der Dalai Lama
seit Jahrzehnten einen pazifistischen Weg eingeschlagen hat.
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